Aktueller Kommentar von Dr. Koch 01.06.2025
Widerstandsfähigkeit neu entwickeln
Wir leben in extrem herausfordernden Zeiten, das spüren wir täglich. Doch was sind die Konsequenzen unserer Erfahrungen? Auf wen verlassen wir uns? Der Schriftsteller Kurt Tucholsky soll über uns Deutsche gesagt haben, wenn wir stürzen, stehen wir nicht auf, sondern fragen uns, wer uns den Schaden ersetzt. Das ist, so hoffe ich – trotz all meiner Erlebnisse – immer noch, eine Übertreibung. Aber die Frage nach Widerstandsfähigkeit, neuerdings oft mit dem Begriff „Resilienz“ beschrieben, kann angesichts der weiteren drohenden Herausforderungen nicht unbeantwortet bleiben.
Die Fähigkeit unserer Ordnung, sich nach ständigen krisenhaften Schocks wieder zu erholen, wird wesentlich den Erfolg der neuen Bundesregierung bestimmen. Wenn Menschen beobachten, dass sie in einer resilienten Ordnung leben, vertrauen sie dieser und sind zu Optimismus und Zuversicht bereit. Die Bundesregierung wäre klug beraten, die berühmten 50 Prozent Erhard’scher Psychologie in der Wirtschaftspolitik durch die Ressource Resilienz anzuzapfen.
Große Risiken müssen verteilt werden, um tragbar zu sein
Markus Brunnermeier, Princeton-Ökonom und Träger des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspolitik 2023, sagt uns, „Ohne das Ansteuern des Ziels ‚Resilienz für alle‘ wird das Ziel ‚Wohlstand für Alle‘ künftig unerreichbar. Hierfür braucht es eine Fokussierung auf die Anpassungsfähigkeit der einzelnen Individuen innerhalb ihrer Freiräume und das damit verbundene ständige Experimentieren mit Neuem.“ Ein solches Denken entspricht den Antworten der traditionellen Ordnungspolitik. Es geht nicht von einem Allwissens- und nicht von einem Allmachtsanspruch der Politik aus, sondern entwickelt geeignete dezentrale Lösungen unter einem gemeinsamen Ziel. Dieses Konzept nennen wir in Deutschland „Soziale Marktwirtschaft“.
Sechs Felder der Eigenverantwortung:
Agenda 2030 der Resilienz
Brunnermeier, der seine Arbeit in Deutschland beim Ludwig-Erhard-Forum in Berlin unter Leitung von Prof. Dr. Stefan Kolev veröffentlicht hat, identifiziert sechs große Bereiche der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, die von diesen Überlegungen geprägt sein sollten. Da ist die Herausforderung, sich von dem gewohnten Vertrauen in den Schwerpunkt der industriellen Produktion in ein neues Vertrauen in die schnelllebigen Bereiche der Dienstleistung zu bewegen, ohne dabei eine Deindustrialisierung anzustreben. Zum zweiten die Frage, ob wir uns den Herausforderungen eines neuen Regimes des Welthandels stellen wollen, was bedeutet, dass immer und an jeder Stelle mit dem Ausfall der Zulieferung, neuen Zöllen oder anderen unkalkulierbaren Ereignissen gerechnet werden muss. Als dritten Bereich nennt Brunnermeier die Ordnungspolitik, also die hier so oft diskutierte Frage, ob mit Staatsgeld und vermeintlichem zentralem Wissen Innovationen ermöglicht werden sollen oder ob jetzt, gerade nach den Erfahrungen von Intel bis Northvolt, wieder das private Risiko bei privaten Investitionen der Maßstab für die Trends der Zukunft wird.
Da sind wir bei einer technologieoffenen Energiepolitik als viertem Punkt. Als fünften Punkt finden wir die alte und immer noch brandaktuelle Frage nach der staatlichen Finanzpolitik: Finanzieren wir nicht gerade unsere Sozialsysteme über Staatsschulden und lassen dem Bürger die Illusion, dass alle krisenhaften Veränderungen – von der Alterung unserer Gesellschaft bis zur Bedrohung durch Putin – auf Kosten der Kinder und ohne eigenes persönliches Risiko zu finanzieren sind? Damit hängt auch der letzte Punkt zusammen: ob wir bereit sind, den demografischen Wandel durch individuelle Mitverantwortung zu tragen – sei es durch private Vorsorge, die die sonstigen persönlichen Ausgaben eingrenzt, oder ringen wir uns zu längerem und intensiverem Arbeiten durch.
Soziale Marktwirtschaft ist ein Konzept der Resilienz
Eine resiliente Gesellschaft ist weniger ein großer Tanker als eine Flotte kleiner Schiffe, die mit ihren jeweiligen Mitteln und verteilten Risiken ein gemeinsames Ziel ansteuern und letztlich zahlreicher, gesünder und wohlhabender am geplanten Ziel ankommen. Um es wieder mit Markus Brunnermeier zu sagen, „damit gehen sie eigenverantwortlich Risiken ein, die nicht einer existenziellen Entwurzelung gleichkommen, und tragen so zum eigenen Wohlstand und zu demjenigen ihrer Mitbürger bei. Bürger mit einer solchen unternehmerischen Mentalität sind von Vorteil für die gesamte Gesellschaft, denn sie tragen durch ihre Anpassungsfähigkeit ganz entscheidend dazu bei, dass die Gesellschaft die Umwälzungen bewältigt. Eine solche Fokussierung auf die Individuen setzt seitens des Staates Vertrauen in die individuelle Anpassungsfähigkeit voraus, und es ist diese Anpassungsfähigkeit, die in dezentralen Interaktionsprozessen zwischen den Individuen wohlstands- und resilienzmehrend wirkt. Ein solches Vertrauen in alle Seiten des Staates ist der Schlüssel zur Erneuerung des traditionellen Kerns der Sozialen Marktwirtschaft.“
Dieser Kernbestand lag, so Brunnermeier, schon immer in der Entfesselung der dezentralen Kräfte und Ideen jedes Einzelnen in Wirtschaft und Gesellschaft, verbunden mit einem Mindestmaß an persönlicher Sicherheit und sozialer Stabilität. Eine solche Kombination macht alle zu Partnern im Aufbau der Widerstandsfähigkeit. Dann ist Resilienz kein staatliches Programm, sondern vielmehr die Folge vernünftigen, rationalen Verhaltens aller Akteure. Ob das einen Bürger bei seiner Altersvorsorge, ein Start-up bei seiner Finanzierung oder ein Weltunternehmen bei seinen globalen Risiken betrifft. Dieses Vertrauen in die Kräfte jedes Einzelnen macht den einen zentralen Wirtschaftslenker überflüssig. Führung hat hierbei nicht zu lenken, sondern – auf dem Weg hin zu einer Kultur der Resilienz – ihre partnerschaftliche Produktion von allen zu motivieren.
„Der dringend benötigte neue Optimismus konstituiert einen Gegenpol zur lähmenden Wirkung von Fatalismus und Pessimismus für die deutsche Wirtschaft, denn Fatalismus und Pessimismus können gerade in Zeiten dringender Anpassungsfähigkeit für Individuen wie Gesellschaft geradezu fatal sein.“ (Zitat Markus K. Brunnermeier, LEF Policy Papers, Resilienz für alle)