Aktuelles zur Pflegereform - Vorschläge aus der CDU und der CDA

Dringender Reformbedarf bei der Pflegeversicherung:
Die Untätigkeit der Ampel belastet Bürger und Kommunen
Diskussionsbeitrag von Michael Kretschmer und Karl-Josef Laumann


Die gesetzliche Pflegeversicherung wird 30 Jahre alt. Vor ihrer Einführung lag die So-zialhilfequote in Pflegeheimen bei rund 80 Prozent, die Versorgungslandschaft war weitaus weniger ausgebaut als sie es heute ist, der Großteil der Pflege fand in den Familien ohne weitere Unterstützung statt. Vor diesem Hintergrund ist die Pflegever-sicherung als sozialpolitischer Erfolg zu bewerten.
Die Rahmenbedingungen haben sich seit dem maßgeblich verändert, die finanzielle Schieflage im Bereich der Pflege wird immer offensichtlicher, die Sorgen der Pflege-bedürftigen und ihrer Angehörigen immer größer. Es besteht dringender Reformbe-darf, aber die Ampel-Koalition bleibt nicht nur untätig, sondern hält sogar die Zusa-gen ihres eigenen Koalitionsvertrags nicht ein. Eine grundlegende Pflegereform wurde nur angekündigt, aber nicht ansatzweise in Angriff genommen. Die Versäum-nisse sind vielfältig und haben schwerwiegende Folgen von zu hohen Eigenanteilen für Betroffene bis zu einer weiteren Verschärfung der ohnehin schon angespannten finanziellen Lage der kommunalen Haushalte.
Vor wenigen Wochen erst verkündete Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eine „explosionsartige“ Zunahme der Anzahl der Pflegebedürftigen. Tatsächlich steigt die Zahl der Pflegebedürftigen seit 2017 um 1,9 Millionen, 2023 waren es sogar 361.000. Insgesamt sind in Deutschland über 5 Millionen Menschen pflegebedürftig. Der Minister zeigte sich alarmiert, doch folgte auf diesen finanziell folgenreichen An-stieg nichts. Dieser starke Anstieg war absehbar, die Ampel hätte bereits zu Beginn der Legislaturperiode, wie in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, weitreichende Re-formmaßnahmen angehen müssen. Es erfolgten aber immer nur Ankündigungen. Mit der Folge, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger schwindet, weil die Pfle-geversicherung nicht das erfüllt, was ihr Name eigentlich suggeriert: die Absicherung von pflegebedingten Kosten. Denn die Eigenanteile für die stationäre Pflege steigen kontinuierlich, die Zuzahlungen für ambulante Pflegedienste werden immer höher, weil die Leistungen der Pflegeversicherung nicht mit der Kostenentwicklung Schritt halten. Wegen der Selbstblockade innerhalb der Ampel werden die Probleme aber nicht nur verschleppt, sondern weiter vergrößert. Die Entwicklung wird sich fortsetzen und mit dem demografischen Wandel noch verschärfen.
Pflegebedürftige und ihre Angehörige sind überfordert, was in den ostdeutschen Bun-desländern besonders spürbar ist. Vor diesem Hintergrund ist es fast zynisch, aus-schließlich an Eigenverantwortung und private Vorsorge zu appellieren – denn der Großteil der Bürger hat für das Alter vorgesorgt. Laut Bericht der Bundesregierung sind im Bundesdurchschnitt rund 3,7 % der Menschen im Rentenalter auf Grundsi-cherung im Alter angewiesen. Vorsorge funktioniert aber nur, wenn langfristige Ver-
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lässlichkeit über die Höhe der künftigen Ausgaben besteht. Kurzfristige Flickschuste-rei und ein wiederholtes Drehen an der Beitrags- und Zuzahlungsschraube machen das jedoch unmöglich.
Die finanzielle Fehlentwicklung im Bereich der Pflege hat zudem weitreichende Fol-gen vor Ort: Städte und Landkreise müssen als Träger der Sozialhilfe Kosten für die „Hilfe zur Pflege“ in Milliardenhöhe stemmen. Im Jahr 2022 haben die Sozialhilfeträ-ger dafür rd. 3,5 Milliarden Euro ausgegeben. Rund jeder dritte Pflegebedürftige, der in einem Pflegeheim versorgt wird, ist auf Sozialhilfe angewiesen. Gerade nach ei-nem langen Arbeitsleben ist den Menschen dieses Gefühl von Bedürftigkeit nicht zu-zumuten.
Eine Neuausrichtung ist daher zwingend erforderlich und in folgenden Schritten an-zugehen:
• Befreiung von systemfremden Kosten
Gerät ein soziales Sicherungssystem in finanzielle Schieflage, muss es von Kosten befreit werden, die nicht im Kern dazugehören. Bei der Pflegeversiche-rung, die absehbar ein Defizit in Milliardenhöhe verzeichnet, sind das die so-genannten versicherungsfremden Leistungen, die Pflegekasse, Einrichtungen und Pflegebedürftigen erheblich belasten. Diese Leistungen müssen gegen-wärtig von den Beitragszahlern mitfinanziert werden. Dazu gehören die soziale Absicherung von Familienangehörigen, die sich um einen Pflegebedürftigen kümmern, in Höhe von aktuell rund 3,6 Milliarden Euro jährlich ebenso wie die die medizinische Behandlungspflege in der stationären Versorgung – laut Be-richt der Bundesregierung aktuell rund 3 Milliarden Euro. Von den Ausbil-dungskosten zahlen die Pflegebedürftigen durchschnittlich rund 1.580 Euro jährlich aus eigener Tasche für angehende Pflegekräfte – alles Punkte, die sich die Ampel-Koalition schon in ihren Koalitionsvertrag geschrieben hat. Das im vergangenen Jahr beschlossene Pflegeunterstützungs- und -entlastungs-gesetz greift dieses Problem überhaupt nicht auf. Würde sie alleine diese Ver-sprechen endlich einlösen, könnten die Pflegeversicherung und die Pflegebe-dürftigen direkt entlastet werden.
• Einführung einer echten Pflegeversicherung
Für eine nachhaltige gesellschaftliche Akzeptanz der Pflegeversicherung muss jedoch zusätzlich ein echter Systemwechsel diskutiert werden: die Umwand-lung zu einer Vollversicherung, die die pflegebedingten Kosten komplett über-nimmt. Laut den aktuellen Berechnungen des IGES-Instituts erforderte eine solche Vollversicherung im Jahr 2026 rd. 16,5 Milliarden Euro zusätzlich, im Jahr 2030 20 Milliarden Euro. Im Gegenzug würden die deutlich zu hohen Ei-genanteile, die heute viele Pflegebedürftige in der stationären Pflege finanziell überfordern, substantiell sinken. Sie könnten direkt um insgesamt 8,9 Milliar-den Euro entlastet werden – den Betrag, den sie laut Bericht der Bundesregie-rung rechnerisch jährlich an pflegebedingten Kosten selbst tragen. Gleichwohl
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entlassen wir die Pflegebedürftigen und deren Familien nicht aus der Eigen-verantwortung. Trotz einer Vollversicherung müssten sie die Ausgaben über-nehmen, die nicht unmittelbar mit der Pflege zusammenhängen, vor allem die Investitions-, Betriebs- und Verpflegungskosten. Wenn sich Beitragszahler auch gegen diese Kosten absichern wollen, sollen sie künftig freiwillig bezahl-bare Pflegezusatzversicherungen abschließen können, die deren Umfang ab-decken.
• Leistungsdschungel in der häuslichen Pflege abbauen
Geld alleine pflegt aber nicht. Eine große Reform muss deshalb auch die pfle-gerische Versorgung weiterentwickeln. Notwendig sind stabile Versorgungs-strukturen, gerade vor dem Hintergrund, dass der demografische Wandel auch insbesondere die Pflege treffen wird: Eine zunehmende Anzahl an Pfle-gebedürftigen trifft auf einen Rückgang an potenziellen Erwerbskräften, ebenso werden innerhalb der Familien in Zukunft weniger Personen Pflege leisten können. Das heißt: die zu schulternde Last für die Angehörige wird noch zunehmen. Die Unterstützung des familiären und nachbarschaftlichen Umfelds durch Leistungsverbesserungen im häuslichen Bereich muss daher fortgesetzt werden, da dies zugleich unsere Gesellschaft stärker zusammen-hält.
Umso entscheidender ist es, den Leistungsdschungel in der häuslichen Pflege abzubauen und gezieltere und für die häusliche Pflegesituation wirklich zuge-schnittene Strukturen zu schaffen. Aktuell werden laut Bericht der Bundesre-gierung rund 34 % der Leistungen für rund 14 % der stationär Gepflegten aus-gegeben – und dass, obwohl die Leistungsansprüche für die häusliche Pflege auf dem Papier umfangreich sind. Praktisch werden sie aber oftmals nicht in Anspruch genommen – sei es, weil geeignete Unterstützungsmöglichkeiten vor Ort fehlen oder weil schlicht Unkenntnis über die verschiedenen Leistun-gen herrscht. Werden die lokalen Pflege- und Unterstützungsarrangements nicht gesichert oder ausgebaut, wird ebenfalls das Vertrauen in unseren Sozi-alstaat aufs Spiel gesetzt. Auch hier muss der Bund dringend handeln und noch in dieser Legislatur die notwendigen Stellschrauben bewegen. Denn Strukturen sind nicht von heute auf morgen auf- bzw. zielgerichtet umgebaut, es braucht Zeit, bis entsprechende Rahmenbedingungen auch Wirkung zei-gen. Zeit ist jedoch genau die knappe Ressource, die wir angesichts der stei-genden Pflegebedürftigenzahlen nicht mehr haben.
Jetzt notwendige Schritte für eine Pflegereform!
Die Bundesregierung muss jetzt handeln! Das heißt: die gesetzliche Pflegeversiche-rung von sachfremden Kosten befreien, die häusliche Pflege stärken und die Leistun-gen sichtbar und einfacher machen. Dazu sollte sie die Größe zeigen, auch auf die
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Opposition im Deutschen Bundestag zuzugehen, statt auf den Rücken der Pflegebe-dürftigen auf Zeit zu spielen. Auch die Bundesländer werden sich offen für eine schnelle Lösung der Probleme zeigen.
Dabei darf sich das Muster der im Scheitern begriffenen Krankenhausreform nicht wiederholen. Auch bei den Krankenhäusern und ihrer Finanzierung ist der Hand-lungsbedarf riesig, auch hier gab es große Ankündigungen von Gesundheitsminister Lauterbach. Herausgekommen ist ein Reförmchen, das kaum strukturelle Probleme beheben und für die Versicherten teuer werden wird. Der Bund ist nicht bereit, drin-gend benötigte zusätzliche Mittel für die Transformation der Krankenhauslandschaft zur Verfügung zu stellen, lässt defizitäre, aber versorgungsnotwendige Krankenhäu-ser am ausgetreckten Arm verhungern und ignoriert alle Einwände von Experten, Krankenhaus- und Krankenversicherungsvertretern und nicht zuletzt der Länder, die die Reform umsetzen müssen.
Das darf nicht erneut passieren! Den Mut für eine solche große Reform aufzubringen, wäre gerade in den aktuell herausfordernden Zeiten ein wichtiges Zeichen für alle auch zukünftige Pflegebedürftigen. Sie würde Sicherheit geben – für die finanzielle Lage der Pflegekassen, die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen, aber auch für die Pflegekräfte. Schließlich werden auch die Kommunen entlastet, die bisher – wie in anderen Fällen auch - die finanziellen Konsequenzen der Bundespolitik zu tragen haben und an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit sind. Deutschland wird heute in vielen Ländern um sein Pflegesystem und das damit aufgespannte Netz beneidet. Damit dieses Fundament auch in der Zukunft trägt, darf der dringende Handlungsbe-darf nicht länger ausgesessen werden.

 

Beschluss des CDA-Bundesvorstands vom 1. Juli 2023 in Nürnberg
Pflegeversicherung zukunftsfähig ausgestalten
Die Einführung der Gesetzlichen Pflegeversicherung im Jahr 1995, maßgeblich gestaltet vom damaligen Bundesarbeitsminister und CDA-Vorsitzenden Norbert Blüm, ist ein Meilenstein für die deutsche Sozialpolitik. Vorher mussten rund 80 Prozent der stationär versorgten Pflegebedürftigen Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Ambulante Angebote waren nur spärlich vorhanden. Durch die Pflegeversicherung ist es gelungen, den Bedarf an Hilfe zur Pflege auf weniger als 30 Prozent zu senken – und dieser Anteil war viele Jahre stabil. Mittlerweile ist die Quote allerdings auf 34 Prozent gestiegen, Tendenz steigend.
Auf diese segensreiche Wirkung der Pflegeversicherung dürfen wir unverändert stolz sein – umso mehr kommt es heute darauf an, die Zukunft der Pflege in unserer alternden Gesellschaft zu sichern. Denn der Pflegebedarf wird in den nächsten Jahren stark ansteigen und damit werden wir auch stark steigende Kosten erleben. Zugleich sinkt die Zahl der Jüngeren und der aktiv Erwerbstätigen. Das führt zu einem Fachkräftemangel, der auch in der Pflege heute schon vielerorts spürbar ist. Und es gibt absehbar weniger Beitrags- und Steuerzahler, was die Finanzierung der Pflege unter großen Druck bringt und mutige Reformen erfordert.
Für uns als CDA gilt dabei als Richtschnur weiterhin das christliche Menschenbild und das Subsidiaritätsprinzip, das die Eigenverantwortung des Menschen mit dem sozialen Beistand der Gemeinschaft für Hilfebedürftige verbindet. Daraus erwächst der Charakter der Pflegeversicherung als Teilkasko-Schutz. Eine Vollkasko-Versicherung hingegen würde der Verantwortung des Einzelnen nicht gerecht – und sie wäre im Ergebnis auch sozial ungerecht. Sie würde wie eine „Vermögensschutz-Versicherung“ für alle Gutverdienenden wirken. Die müssten dann nicht ihre eigenen Vermögensreserven einsetzen, sondern bekämen die Pflege komplett bezahlt – und das auf Kosten vieler Arbeitnehmer, die selbst kein solches Vermögen haben.
Norbert Blüm hat als „Vater der Pflegeversicherung“ stets dafür gekämpft, dass die Menschen im Pflegefall nicht als Bittsteller auf staatliche Leistungen angewiesen sind, sondern als Beitragszahler in der Sozialversicherung einen eigenen Rechtsanspruch auf die Pflegeleistungen erwerben. Diese Rangfolge entspricht dem christlichen Subsidiaritätsprinzip. Und sie spricht auch zukünftig für den Vorrang der Beitragsfinanzierung. Dazu gehört, dass versicherungsfremde Leistungen nicht den Beitragszahlern aufgebürdet werden dürfen, sondern aus Steuermitteln finanziert werden müssen. Und dazu gehört, dass die Länder ihre Verantwortung für die Pflege-Infrastruktur auch wirklich übernehmen. Sie müssen ihre Finanzierungspflicht für die Investitionskosten endlich in vollem Umfang erfüllen.
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Darüber hinaus ist eine Verlagerung vom Beitragssystem zu immer mehr steuerfinanzierten Bundeszuschüssen abzulehnen. Sie wäre auch kein Beitrag zur Lösung des demografischen Problems. Denn die stark steigenden Kosten unserer alternden Bevölkerung belasten jedes Umlageverfahren – und auch die Steuerfinanzierung ist ein Umlagesystem, das de facto die Kosten auf die nachfolgenden Generationen abwälzt. Die künftigen Steuerzahler würden zusätzlich belastet. Überdies geriete die Gesundheitsversorgung in eine immer stärkere Abhängigkeit vom Finanzministerium. Es drohte eine Pflege nach Kassenlage – in Konkurrenz zu anderen wichtigen Zielen wie Bildung oder Klimaschutz. Das würde die Pflege am Ende genau in jene Bittsteller-Falle führen, gegen die Norbert Blüm mit Recht und mit Erfolg gekämpft hat.
Ausgleich versicherungsfremder Leistungen
Die Übernahme der Beiträge der Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige in Höhe von ca. 3,3 Milliarden Euro ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Seit Einführung der Pflegeversicherung werden diese vollständig von den Beitragszahlern finanziert. Zukünftig sind diese Ausgaben aus dem Bundeshaushalt durch Steuermittel zu finanzieren.
Entlastungsbudget für Pflegebedürftige einführen
Die bürokratische Antragstellung für unterschiedliche Leistungsansprüche muss vereinfacht werden. Pflegebedürftigen soll daher für die häusliche Pflege ein Entlastungsbudget zur Verfügung gestellt werden. Das enthält die Möglichkeit einer Kombination verschiedener Leistungsansprüche. Damit können die Pflegebedürftigen die finanziellen Mittel nach ihrem individuellen Bedarf einsetzen.
Betreuungs- und Entlastungsleistungen vereinfachen
Angebote zur Unterstützung im Alltag sollten niederschwellig ausgestaltet sein. Landesrechtliche Regelungen sollten vereinfacht werden. Sie müssen Pflegebedürftigen helfen, möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung zu bleiben, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten und ihren Alltag möglichst selbständig bewältigen zu können. Mindeststandards sollten definiert und nachgehalten werden.
Einführung einer Pflegezeit
Etwa 70 Prozent der Pflegebedürftigen werden zuhause gepflegt. Sollte die Angehörigen-pflege aufgrund Überbelastung oder finanzieller Probleme ausfallen, könnten zahlreiche Pflegebedürftige nicht mehr adäquat versorgt werden. Daher bedarf es einer speziellen Pflegezeit, die für einen begrenzten Zeitraum das wegfallende Gehalt ausgleicht. Denkbar wäre eine Finanzierung in Anlehnung an das Kranken- oder Kinderkrankengeld. Mit dieser Leistung könnte der Verbleib in der eigenen Wohnung gestärkt werden. Stationäre Kapazitäten und deren Pflegepersonal könnten damit entlastet und perspektivisch Kosten eingespart werden. Arbeitgeber sind unter Berücksichtigung betrieblicher Belange
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gefordert, flexible Arbeitszeitmodelle anzubieten und bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf die Pflege zu berücksichtigen.
Leistungsbeträge regelmäßig und verbindlich anpassen
Die durchschnittliche Eigenbeteiligung der Pflegebedürftigen beträgt mittlerweile 2.468 Euro monatlich. Das liegt u.a. auch daran, dass die Leistungsbeträge in der Vergangenheit nur unregelmäßig angepasst wurden. Die Leistungserhöhungen liegen deutlich unter dem Kostenanstieg und belasten die Pflegebedürftigen überproportional. Die Pflegeleistungen sollten kurzfristig um einmalig 10 Prozent angehoben werden. Zur dauerhaften Entlastung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen müssen die Leistungsbeträge in der Folge im ambulanten und stationären Bereich jährlich, z. B. in Höhe der Grundlohnrate, dynamisiert werden.
Transparenz über verfügbare Pflegeangebote stärken
Es existieren keine Informationen auf Bundes- und teilweise Landesebene über aktuell freie Kapazitäten in den Pflegeheimen. Diese Informationen sind notwendig, um das stationäre Entlassmanagement in den Krankenhäusern zu unterstützen und den Angehörigen bei der Suche nach Pflegeplätzen zu helfen. Notwendig ist eine bundesweite Datenplattform, auf der die freien Kapazitäten tagesaktuell transparent dargestellt werden. Eine Teilnahme ist für alle stationären Pflegeeinrichtungen, einschließlich der Tages-, Nacht- sowie Kurzzeitpflege, verbindlich.
Stärkung der betrieblichen Pflegevorsorge
Die betriebliche Pflegevorsorge sollte bereits mit Eintritt in das Berufsleben etabliert werden. Beispielhaft könnte die betriebliche Altersvorsorge als bewährtes Vorbild dienen. Auf ähnliche Weise könnten auch betriebliche Pflegezusatzversicherungen gefördert werden, wie es die Tarifparteien in der Chemie-Industrie unlängst vorgemacht haben. Für den Sozialstaat ist es auf Dauer auch günstiger, solche partnerschaftlichen Modelle der Pflege-Vorsorge zu fördern, als später die Folgen mangelhafter Vorsorge auszugleichen.
Attraktivität der Pflegeberufe erhöhen
Die demografische Entwicklung wird die Zahl der Pflegebedürftigen weiter ansteigen lassen. Es ist daher notwendig, dass Pflegekräfte gehalten und neue hinzugewonnen werden. Dazu gehört die kostenfreie Ausbildung von Kranken- und Altenpflegehelfern – auch in Schulen freier Trägerschaft. Die Vergütung der Pflegekräfte wurde in den letzten Jahren deutlich verbessert (Tariftreuegesetz, Vergütungsanpassungen). Notwendig ist eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Flexible Arbeitszeitmodelle, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und verbindliche Dienstpläne erhöhen die Attraktivität und reduzieren Personalabgänge aufgrund durch Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen. Die Einstellung ausländischer Pflegefachkräfte kann zu einer Entlastung führen. Notwendig ist die zügige Anerkennung ausländischer Qualifikationen, um die bereits vorhandenen Kompetenzen anwenden zu können.
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Übernahme der Investitionskosten durch die Länder
Mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz wurden gestaffelte Zuschläge zum pflegebedingten Eigenanteil in der stationären Langzeitpflege eingeführt. Die Kosten werden von der Pflegeversicherung getragen und entlasten die Sozialämter und Kommunen. Diese Entlastungen sind für die Stärkung der Pflegeinfrastruktur (Neubauten, Investitionen, etc.) zu nutzen. Die Übernahme der notwendigen Investitionskosten muss von den Bundesländern geleistet werden. Dieser Grundsatz wurde bei der Einführung der Pflegeversicherung in § 9 SGB XI aufgenommen, wird de facto allerdings nicht umgesetzt. Die Länder müssen ihre Finanzierungspflicht endlich konkret erfüllen. Sozialämter und Pflegekassen sollten die Pflegesatzverhandlungen kollektivvertraglich verhandeln.
Länder und Pflegeeinrichtungen müssen mehr in die Ausbildung investieren
Die Ausbildungskosten der Langzeitpflege werden als Bestandteil der Pflegesachleistungen auf die Eigenanteile der Pflegebedürftigen umgelegt. Diese Umlage muss künftig von den Ländern finanziert werden. Die Anzahl der Ausbildungsplätze ist zu erhöhen. Stationäre Pflegeeinrichtungen werden zur Ausbildung verpflichtet, ansonsten müssen sie eine Umlage in einen gemeinsamen Ausbildungstopf leisten, deren Kosten nicht auf die Bewohner umgelegt werden kann. Die von der Koalition geplante Finanzierung bundesweiter Pflegeassistenzausbildungen und die Vergütung der akademischen Pflegeausbildung sind wichtig für die Stärkung der Ausbildungsberufe. Die Finanzierung muss in voller Höhe von Bund und Ländern sichergestellt werden.
Pflegestrukturplanung weiterentwickeln
Die Länder sind nach § 9 SGB XI verpflichtet, eine bedarfsgerechte Pflege-Infrastruktur vorzuhalten. Dazu sollten sie in Abstimmung mit den Landkreisen und Städten den Bedarf der Bevölkerung an Versorgungsstrukturen analysieren, insbesondere zur Sicherstellung der Pflege im ländlichen Raum. Die Kommunen sollten nicht nur bei der Bedarfsanalyse beteiligt werden, sondern mehr verbindliche Mitgestaltungsmöglichkeiten erhalten. Bei der Pflegestrukturplanung sollten generationenübergreifende Quartierskonzepte, neue Wohn- und Pflegeformen, Tages-, Kurz- und Nachtpflege sowie barrierefreies Bauen berücksichtigt werden.
Ehrenamtliche Strukturen stärken
In Deutschland beziehen ca. 21 Millionen Menschen eine Rente. Viele aktive und gesunde Rentenbeziehende könnten durch niederschwellige Unterstützung das Leben der Pflegebedürftigen erleichtern und lebenswerter gestalten. Beispielhaft wären Besuchs- und Einkaufsdienste, Behördenkontakte und begleitende Arztbesuche zu nennen. Diese unterstützenden Hilfen sind allerdings nicht nur auf ältere Helfende begrenzt. Durch den Ausbau des Freiwilligen Sozialen Jahres und des Bundesfreiwilligendienstes könnten sich auch jüngere Menschen aktiv einbringen. Dieses ehrenamtliche Engagement könnte z. B. durch kostenfreie Nutzung des Nahverkehrs, verbilligten Eintritt bei öffentlichen Veranstaltungen oder höhere Steuerfreibeträge belohnt werden. Wird die Pflege von
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Rentenbeziehenden erbracht/unterstützt, sollten analog der Angehörigenpflege Beiträge zur Rentenversicherung bis zum Eintritt der Regelaltersrente übernommen werden, um den Rentenanspruch zu erhöhen.
Möglichkeiten der Digitalisierung stärker nutzen
Der verstärkte Einsatz digitaler Angebote zur Unterstützung der Pflege kann die knappen Personalkapazitäten entlasten und besser nutzen und zudem die Pflege-Qualität gezielt verbessern. Dazu müssen die Pflegeeinrichtungen an die Telematik-Infrastruktur ange-schlossen werden. Auch die Nutzung der Telepflege bietet eine sinnvolle Ergänzung