Die Meinung von Dr. Koch 31.08.2025

Die Folgen des gefesselten Arbeitsmarktes 

Im Idealfall sollte sich auch der Preis für Arbeit am Markt bilden. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Knappheit oder Überangebot auch hier am besten durch die freie Preisbildung ausgeglichen werden. Niedrige Arbeitsproduktivität, fehlende Ausbildung, aber auch Kreativität oder Spezialwissen, dies alles hat einen bestimmten Preis, zu dem es sich für einen Unternehmer lohnen kann, für genau diese Fähigkeit zu bezahlen. Weil der einzelne Arbeitnehmer dem Arbeitgeber ausgeliefert sein könnte, gibt es Arbeitsschutz-, Mindesturlaubs- und Arbeitszeitgesetze. Zudem sind Tarifvertragsparteien aktiv. Ganz frei ist dieser Markt also – aus guten Gründen – schon lange nicht mehr. Aber der Preis für die Arbeitsstunde war bis vor kurzem weitgehend ein Produkt des Marktes. 

Der Mindestlohn hat die Regeln geändert 

Seit 2014 kommt der Staat immer mehr ins Spiel. Der Mindestlohn geht von der Idee aus, eine Vollzeitarbeit müsse einen unterstützungsfreien Lebensunterhalt ermöglichen, ohne zu fragen, ob sich diese marktfremde Annahme für den Unternehmer rechnet. Inzwischen ist – fast logischerweise – der so definierte politische Preis immer schneller gestiegen. Der Zeitungsausträger, bei dem es ja immer nur um einen Zuverdienst ging, wird immer seltener, wie wir am eingestellten Vertrieb der Sonntagszeitungen sehen. Ergänzend kommen weitere politische Gründe zur Zerstörung der Preisbildung am Arbeitsmarkt in Mode. Mindesttarife in Pflegeberufen, deren Einkommensniveau innerhalb weniger Jahre um mehr als 30 Prozent stieg, sind ein gutes Beispiel. 

Der Staat bremst den Markt aus 

Der Pflegebereich zeigt beispielhaft die ganze Problematik dieser Entwicklung. In jeder Nachrichtensendung hören wir jetzt vom Anstieg der Pflegekosten in Pflegeheimen und Krankenhäusern. Hier laufen in der Tat trotz immer mehr steigender Preise die Kunden nicht weg. Allerdings können sie die Preise auch nicht mehr bezahlen und so kommen erst höhere Versicherungsbeiträge und dann neue und höhere Staatszuschüsse für die Versicherungen ins Spiel. Die übrigen Branchen erleben das mehr oder weniger ebenso. Der jetzt erneut steigende Mindestlohn ist die – wahrscheinlich sogar oft berechtigte – Entschuldigung, warum die geplante Senkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie nicht bei den Gästen ankommen wird. 

Der Mindestlohn hat aber auch eine mittelbare Wirkung. Ausgebildete Arbeitskräfte verlangen einen angemessenen Abstand ihres Einkommens zum Mindestlohn. Dieser Abstand verringert sich durch den gesetzlichen Mindestlohn und verteuert ohne Rücksicht auf sonstige Marktbedingungen das Lohnkostenniveau.  

Ein völlig unerwarteter Nebeneffekt wird in diesen Monaten bemerkbar. Ein Teil der Schulabgänger findet den Mindestlohn so attraktiv, dass sie auf eine Ausbildung verzichten und sich unausgebildet beschäftigen lassen. Diese Entwicklung ist auf längere Sicht fatal. Sie bremst letztlich den Konsum, belastet die grenzüberschreitende Wettbewerbsfähigkeit und ist eine Katastrophe für die Zukunft dieser Menschen und die Produktivität der Volkswirtschaft. 

Die politischen Arbeitskosten haben Konsequenzen 

Von der aktuellen Regierungskoalition zu verlangen, diese Fehlentwicklungen kurzfristig zu stoppen, ist wohl eine Illusion. Bleibt zu hoffen, dass mittelfristig Behutsamkeit bei den politisierten Preisen von Arbeit einkehrt und die Verantwortung an den Arbeitsmarkt und – sofern vorhanden – die Tarifvertragsparteien zurück geht. Vielleicht würde es bei jungen Menschen auch helfen, den Mindestlohnanspruch erst mit dem 25. Lebensjahr entstehen zu lassen. Das würde wieder mehr Jobs für Schüler und Studenten bringen und vielleicht den leichtsinnigen Verzicht auf Ausbildung unattraktiv machen. 

Aber wir müssen uns auch über eine viel grundsätzlichere Konsequenz im Klaren werden. Die nicht vom Markt geschaffene Verteuerung von Arbeit zwingt zum schnelleren Ersatz menschlicher Arbeit durch Technik. Langfristig käme das ohnehin. Jetzt muss es schneller kommen. 

Seit dem späten 19. Jahrhundert führten die zunehmende Organisation von Arbeitnehmern – insbesondere durch Gewerkschaften – zu spürbaren Verbesserungen bei Löhnen und Arbeitsbedingungen. In der Folge stiegen die Arbeitskosten für Unternehmen, was einen starken Anreiz zur Rationalisierung und Automatisierung schuf. Besonders im 20. Jahrhundert, etwa nach dem Zweiten Weltkrieg, investierten Industriebetriebe verstärkt in Maschinen und technische Innovationen, um menschliche Arbeitskraft zu ersetzen und die Produktivität zu steigern. Dieses Zusammenspiel von sozialer Organisation, ökonomischem Druck und technologischem Fortschritt trug wesentlich zur Transformation moderner Volkswirtschaften bei. Das kann auch heute wieder ein Vorteil werden, denn wir stehen mitten in der nächsten technologischen Revolution.  

Künstliche Intelligenz wird den Markt für Arbeit verändern 

Die rasante Entwicklung von Künstlicher Intelligenz ermöglicht eine tiefgreifende Transformation von Arbeitsprozessen – nicht nur in der Industrie, sondern auch in Dienstleistung, Verwaltung und Kreativwirtschaft. KI-Systeme sind zunehmend in der Lage, komplexe Aufgaben zu übernehmen, die früher menschliche Expertise erforderten. Diese Entwicklung verspricht eine neue Phase der Produktivitätssteigerung, vergleichbar mit der industriellen Automatisierung – jedoch mit dem Potenzial, nicht nur körperliche, sondern auch kognitive Arbeit grundlegend zu verändern.  

Wenn wir jetzt in Magazinen lesen, dass KI-Arbeitskräfte ersetzen wird, dann ist das eine hoffnungsvolle Nachricht. Die Pflegekraft, die heute 40 Prozent ihrer Arbeit mit – oft extrem unsinniger – Dokumentation ihrer Arbeitszeit verbringt, kann sie dies mit KI mindestens halbieren, was die Arbeitskosten in diesem Unternehmen um 20 Prozent senken kann. Heute gilt: Jedes Unternehmen, dass die Chance zur Einsparung menschlicher Arbeitskraft durch KI nicht nutzt, gefährdet seine Zukunft. 

Die öffentliche Verwaltung wird mit dem Rückzug vom Arbeitsmarkt schlanker werden 

Das gilt auch, wenn man über die Wiedergewinnung der finanziellen Solidität spricht. Wir haben hunderttausende Jobs im öffentlichen Dienst, die möglichst sofort ersetzt werden müssen. Der KI-Agent ist präziser und schläft nicht. Aber wir können in der privaten Wirtschaft und im öffentlichen Dienst diese verbleibende Chance mit dem paternalistischen Gehabe der letzten Jahrzehnte auch verspielen. Während weltweit Unternehmen mit KI ihre Effizienz steigern, bleibt Deutschland hinter seinen Möglichkeiten zurück. Langsame Netze, fehlende Rechenzentrumskapazitäten für energieintensive KI-Anwendungen, zögerliche Investitionen und ein Mangel an digitaler Bildung lähmen den Fortschritt. Besonders der Mittelstand – das Rückgrat der deutschen Wirtschaft – tut sich schwer mit der Integration von KI, oft aus Angst vor Kosten, Komplexität oder Kontrollverlust. Hinzu kommt eine Regulierung, die Innovation eher hemmt als schützt. Der neue EU AI Act etwa sorgt für Unsicherheit statt Klarheit. So droht Deutschland den Anschluss an die nächste Produktivitätsrevolution zu verlieren – nicht wegen fehlender Technologie, sondern wegen fehlender Umsetzungskraft. 

Hinzu kommt, dass die falsch verstandene Mitbestimmung zur Verlangsamung des Stellenabbaus, das Verharren in einer romantischen Welt des Datenschutzes des letzten Jahrhunderts und eine kulturpessimistische Angst vor den Optionen der KI und der großen Sprachmodelle unsere Langsamkeit weiter zementieren. 

Man kann über viele selbst geschaffene Hindernisse, wie den immer weniger beweglichen Arbeitsmarkt, lamentieren. Aber man kann auch unter den gegeben Umständen Lösungen finden. Wenigstens hier sollte Freiheit für Ideen, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit der Maßstab werden.